Montag, 11. Juli 2011

Tag 8 - Frontignan

Zeitig holten wir unsere Räder vom Innenhof, wo andere Hotelgäste gerade beim Frühstück waren. Wir liessen uns davon aber genauso wenig stören wie sie von zwei merkwürdigen Schweizern, die ihr Rad durch das Hotel trugen. Wir hatten heute einen langen Tag vor uns. Deshalb machten wir uns auf, als vor dem Hotel noch die Reinigungsmaschinen die Spuren des Vorabends verwischten. Unweigerlich fühlte man sich an Neuenburg zurückerinnert. Nur die Dimension war hier grösser und die Temperaturen trotz der frühen Tageszeit höher.

Bei der Abtei Saint Roman
Wald- und Wiesenwege
Wir liessen aber Avignon mit seinen Plakaten, seinen Putzequipen und seinem Festival hinter uns. Auf gleichem Wege wie tags zuvor hinein gelangten wir wieder auf die andere Flussseite nach Villeneuve. Erst hier drehten wir gen Südwesten ab. Flussabwärts fuhren wir nach Aramon. Die gewählten Strassen waren zwar Hauptverkehrsachsen. Doch der Verkehr hielt sich in Grenzen. Erst später, kurz vor Beaucaire nahm auch der Schwerverkehr zu. Höchste Zeit für uns, auf Nebenstrassen auszuweichen. Doch dies war leichter angedacht als getan. Nachdem wir auf dem Flussmehr von Saint Roman noch kurz verweilten und das Panorama genossen, versuchten wir auf Nebenstrassen nach Bellegarde zu gelangen. Doch bereits als wir den Abteihügel von Saint Roman umfahren hatten, kamen wir an eine Verzweigung. Keine Wegweiser, keine Autos, keine Leute, keine Ahnung. Fifty-Fifty.


Und wie soll es anders sein, wir haben natürlich die falsche Strasse genommen. Einige Kilometer erst Strasse, dann Wald- und Wiesenwege später verlief sich die Strasse im Wald, endete bei einem grossen Haus mitten in der Pampa. Um nicht noch einmal vergebens zurück zu fahren, war es nun an der Zeit, technische Hilfsmittel zur Hand zu nehmen. Das GPS des Handys sollte uns den Weg weisen. Doch die Technik versagte. Es konnte kein Signal finden. Immerhin war die Karte genauer als unsere Strassenkarte. Wir konnten anhand der gefahrenen Wege eruieren, dass der andere Weg wohl der richtige gewesen wäre. Also: Zurück zu Start. 

Wenige Minuten nach der besagten Verzweigung gelangten wir auf eine grosse, neue Strasse. Diese führte uns in die Industrievororte von Beaucaire. Immerhin konnten wir hier direkt Richtung Bellegarde abbiegen und mussten nicht durch die Stadt. Doch die Strassen wurden nun wieder befahrener. Die grossen Strassen hatten aber den Vorteil, dass man in aller Regel schneller vorankam. So erreichten wir zügig Bellegarde. Da es noch vor Mittag war, entschieden wir uns, weiterzufahren. Nächstes Ziel: Générac.

Opfer der Trockenheit
Inzwischen stand die Sonne hoch am Himmel. Die Hitze setzte uns immer mehr zu. Doch da wir gerade im Nichts waren, mussten wir weiterfahren. Hier im Nichts mussten wir aber eine schlimme Beobachtung machen: Auf einer Wiese vor Saint-Gilles waren einige Pferde auf der Weide. Ihnen setzte die Hitze mehr zu als uns. Einige standen regungslos auf der Wiese, andere schauten sich wenigstens noch um, schnupperten an den vertrockneten Grashalmen. Ein kleines Pferd jedoch lag auf dem Boden, bewegte sich nicht. Es war in einer Herde von Pferden, die alle sehr ungesund und ausgehungert aussahen, das ärmste. Bis heute weiss ich nicht, ob das Tier noch gelebt hat. Der Gedanke, mein Wasser aus den Flaschen den Pferden zu geben, kam mir. Doch auch ich hatte nur noch zwei oder drei Mundvoll. Das wäre für die Tiere nur ein Tropfen auf den sprichwörtlich heissen Stein. Wir fuhren also unseres Weges, überliessen die Tiere der Natur. Eine Natur, die in dieser Gegend anscheinend garstig war. Bäume trockneten aus, Wiesen waren mehr braun als grün und die Flussbette waren geprägt von Sand und Steinen. Die Dürre der letzten Woche hat Flora und Fauna zugesetzt.

In Générac
Warten auf das Abkühlen
Wir hatten noch einige Kilometer schlechter, holpriger Strassen vor uns, bevor wir um die Mittagszeit das kleine, verschlafene Générac erreichten. Wir liessen uns im Schatten vor der Kirche nieder, machten unsere Einkäufe im nahegelegenen „Le Petit Casino“. Während sich mein Bruder fragte, in welch abgelegenes Kaff wir uns dieses Mal verirrt hatten, war ich heilfroh, endlich eine Pause im kühlen Schatten machen zu können. Auf den von der Sonne gewärmten Steinen, aber im kühlen Schatten einiger Bäume und der Häuser legte ich mich zu einem Power-Nickerchen. Wir entschieden uns, die Mittagspause etwas auszudehnen, da die Hitze inzwischen wirklich kaum mehr erträglich war. So schlugen wir die Zeit zu Tode, assen, tranken, schliefen, schrieben Karten, hörten Musik und beobachteten die Leute, die sich hier tummelten. Am Gemeindehaus gegenüber versuchte sich ein Handwerker, die Fassade zu renovieren, im Cafe vis-a-vis tranken einige Arbeiter ein Bier. Der Pöstler von der Post auf der anderen Seite des Platzes drehte seine Runden.
Erst spät nach dem Mittag brachen wir auf Richtung Lunel. Doch welches war der richtige Weg? Der Pöstler, der gerade dabei war, sein Geschäft wieder zu öffnen, half mir weiter. Tout droit, à gauche, tout droit: Na, dann, los geht’s.

Nice to meet you!
Mein Bruder war in der langen Mittagspause wohl zu neuen Kräften gekommen. Er machte Tempo, ich hing mich an sein Hinterrad. So erreichten wir nach gefühlten Augenblicken und trotzdem schon wieder erschöpft von der Hitze Lunel. Zeit für eine weitere Pause. In den Arkaden eines grossen Supermarktes liessen wir uns nieder. Hier konnten wir unsere Zeit leicht vertreiben. Die Geschäfte luden zum Shopping. Sie waren klimatisiert, wohl gerade angenehm, doch da draussen Temperaturen um geschätzte vierzig Grad herrschten, fühlte sich die Innentemperatur an wie in der Eiszeit – angenehm. Als ich aus dem Geschäft zurückkam, war mein Bruder im Gespräch mit William. William war auch mit dem Rad unterwegs, wohnte allerdings hier in Lunel. Er interessierte sich für uns, unsere Tour. Er sprach mit meinem Bruder über die Schweiz, über Fahrraddiebstähle in Frankreich, über Gott und die Welt. Er gab uns seine Visitenkarte und wir versprachen, uns zu melden, sobald wir unser Ziel erreicht hatten oder wieder zurück in der Schweiz wären. It was very nice to meet you, William!

Zu früh gefreut
Inzwischen war es etwas nach fünf Uhr. Wir mussten weiter, hatten wir doch noch einen weiten Weg. Über „Mojo“ (eigentlich Mauguio) und vorbei am Flughafen von Montpellier gelangten wir zu einem Landstrich, der über eine Lagune nach Palavas-les-Flots führte. Die Richtung war eigentlich falsch, doch um nach Villeneuve-lès-Maguelone zu gelangen, blieb uns keine andere Wahl. Und schlimm war es nicht: Das Panorama war herrlich, die Strasse ein autofreier Radweg. Frische Meeresluft, Sonnenschein und angenehme Temperaturen entschädigten für manche Tortur. So gelangten wir nach Villeneuve-lès-Maguelone. Dies war eigentlich unser Tagesziel. Doch hier angekommen, mussten wir bald feststellen, dass es keine Hotels gab. Ein Campingplatz eingangs des Dorfes, doch wir hatten weder Camper noch Zelt dabei. Auch die anderen Übernachtungsmöglichkeiten waren auf Camping ausgerichtet. Die wenigen Hotels, die es gab, waren entweder wegen Baufälligkeit geschlossen oder die Hotelschilder waren nur zum Schein angebracht.

Auch wenn wir beide sehr erschöpft waren und uns schon auf eine kühle Dusche und ein warmes Essen gefreut hatten, blieb uns also nichts anderes übrig, als weiterzufahren. Im Licht der untergehenden Sonne fuhren wir nach Mireval. Anstatt wiederum im gesamten Ort nach Schlafplätzen zu suchen, erkundigte ich mich bei einem Herrn, der gerade auf einer Brücke dorfeingangs mit seiner Tochter den Zügen zuwinkte. Er konnte mir die Suche ersparen, es gab hier keine Übernachtungsmöglichkeit. Aber in Frontignan, dem nächsten Ort, gebe es Hotels. Nächster Halt: Frontignan.

Bei Palavas
Balajan am Strassenrand
Auf langen, flachen und geraden Strassen fuhren wir weiter. Der Gegenwind machte uns zunehmend zu schaffen, doch mit dem Ziel vor Augen kämpften wir dagegen an. Noch einmal beim Kreisel rechts, bei der Kreuzung links. Und nochmal tout droit. Wir fuhren an mehreren Weingütern vorbei, doch kein Hotel dabei. Doch dann sahen wir am Strassenrand, noch vor Frontignan, das Hotel de Balajan, seines Zeichens sogar Logis-Hotel zweiter Stufe. Einchecken, einziehen: Preis fast egal. Die Dame vom Empfang zeigte uns auch gleich die Garage für die Räder. Gleich nebenan gab’s einen Pool. Wären wir doch bloss früher hier gewesen, die Abkühlung hätte ich mir nicht nehmen lassen. Doch nun musste eine kühle Dusche reichen. Wir mussten zusehen, dass wir noch ins hoteleigene Restaurant kamen, bevor der Koch Feierabend machte.

Wir waren aber zeitig da und wurden schliesslich doch noch mit einem Teller Pasta für die Strapazen des Tages belohnt.


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