Montag, 4. Juli 2011

Tag 1 - Schinznach / Bad

Der Countdown
Der Countdown lief - immer wieder von neuem. Bei Null ging's nicht los. Immer wieder musste der Start verschoben werden, denn - wer kennt es nicht - es gab noch allerlei zu erledigen. Erst um etwas nach 14 Uhr hiess es für uns Abschied nehmen und wir verliessen Waldkirch bei schönstem Wetter mit unseren Rädern und dem Nötigsten für drei Wochen Fahrradabenteuer im Rucksack in Richtung Nordwest.


Auf geht’s!
Völlig frisch und top motiviert nutzten wir die Strecke von Waldkirch über Niederbüren und Niederstetten nach Wil zum Einrollen, auch wenn wir bereits in Henau durch eine Baustelle vom Rad gezwungen wurden und das Kiesbett zu Fuss passieren mussten. Immer wieder gab es Anekdoten von vergangenen Reisen, von kilometerlangen, französischen Strassen, deren Anfang und Ende nicht sichtbar waren, von toten Tieren, deren Bekanntschaft wir beispielsweise an einem bayrischen Strassenrand gezwungen waren zu machen, von merkwürdigen Gestalten in Prag, in deren Nähe wir uns nicht getraut hätten zu übernachten. Wir beide waren wohl gespannt, welche Geschichten wir nach diesen geplanten tausendfünfhundert Kilometer von Waldkirch über Lyon, Avignon, Perpignan und Andorra nach Saragossa zu erzählen hätten. Durch den späten Start hatten wir die ganze Zeit das Gefühl, wir wären noch nirgends. Und wenn man die paar Kilometer betrachtet, die wir bis zu unserem Halt in Pfungen zurückgelegt hatten und es da schon nachmittags um fünf war, trog uns unser Gefühl wohl auch nicht.
Halt in Pfungen
Doch das Ziel war eigentlich klar: Wir wollten heute bis nach Brugg, damit wir die verlorene Zeit bis morgen Abend wieder eingeholt hätten und mit Etappenziel Yverdon am zweiten Tag schon wieder im Zeitplan liegen. Wir fuhren also weiter. Über Embrach ging es nach Bülach. Bereits hier musste bzw. durfte ich feststellen, dass ich in diesem Jahr wohl in etwa in gleicher Form war wie mein Bruder, denn während er sich durch die Hügel des Zürcher Unterlandes quälte, fuhr ich zwar gefordert, aber durchaus angenehm durch die kurvigen Wald- und Wiesenstrassen und war zuerst auf den Anhöhen, was überhaupt nicht der traditionellen Rollenverteilung entspricht. Die paar wenigen Trainingsfahrten vor dem Tourstart haben sich wohl gelohnt.


Der Bahnübergang
Hier soll nun aber keinesfalls ein falsches Bild entstehen. Es war nicht so, dass weder er noch ich mühelos unsere Kilometer abspulten. Da gab es diese eine Szene an einem Bahnübergang irgendwo vor Niederweningen. Die Barrieren schlossen sich kurz vor uns und wir waren gezwungen, am Eingang dieses Dorfes in einem kurzen Anstieg anzuhalten. Beide standen wir erschöpft da, nippten durstig an unseren Wasserflaschen und malten uns wohl beide schon aus, wie schön es sein wird, an diesem Abend eine kühle Dusche zu geniessen.
Bis dahin sollte es aber noch eine Weile dauern. Zuerst mussten wir Baden erreichen, von dem wir uns viel versprachen, da es an der Aare lag und wir diesem Fluss eigentlich folgen konnten und so auf möglichst flaches Terrain hofften. Und tatsächlich ging es nach einer rasanten Abfahrt von Oberehrendingen nach Ennetbaden danach recht flach weiter, so dass wir zügig Strecke machten und bald in Brugg AG waren. Wie bereits im Vorfeld besprochen fuhren wir die Jugendherberge an. Dank guter Signalisierung fanden wir den Weg problemlos. Weniger problemlos war aber das Check-in. Es fand nämlich nicht statt – ausgebucht.


Voll auf die Maus!
Da sassen wir nun beide ziemlich erschöpft auf einer kleinen Mauer im Hof der Jugendherberge. Was blieb uns zu tun? Die netten Damen am Empfang gaben uns einige Adressen anderer Hotels, die mehr oder weniger an unserer Route lagen. Als wir bereits drauf und dran waren, ein relativ teures Hotel anzusteuern, kamen wir auf die Idee, nach einem Bed&Breakfast zu suchen. Smartphone und mobilem Internet sei Dank wurden wir bald fündig. Allerdings waren es noch einige Kilometer bis nach Schinznach/Bad, wo uns aber Herr Scheppe bereits erwarten sollte. Erst jetzt, als sich ein Gestank verbreitete und mein Bruder beim Heben seines Rucksacks drauftrat, bemerkten wir, was das von Fliegen umflogene, kleine Ding auf der Treppe zwischen uns war: eine tote, verwesende Maus.
Nun denn, schon als die Rucksäcke wieder gepackt und alles abfuhrbereit war, sorgte die Maus bereits nur noch für Gelächter. Humor war wohl auch das Rezept, das uns half, die nötigen Kilometer noch zurückzulegen, denn wir haben uns beide schon darauf eingestellt in der sehr schön gelegenen, in einer Mischung aus Burg und altem Bauernhaus befindlichen Jugendherberge unser Quartier einzunehmen.
Aber bereits gut zwanzig Minuten weiter flussabwärts trafen wir in Schinznach/Bad ein. Quer durch das Dorf ging’s zum Bauernhaus von Herrn Scheppe, dessen Frau uns bereits im Garten erwartete. Der Hausherr selbst sperrte uns das Tor zur Garage auf, wo wir unsere Velos unterbringen konnten. Nach einer kurzen Führung durch das Haus bezogen wir endlich unser Zimmer – gross, geräumig, hell, mit grossem Doppelbett und Fernseher. Doch in diesem Moment war uns das ziemlich schnuppe. Zuerst ging es unter die Dusche und dann ziemlich schnell auf die Suche nach einem guten Nachtessen.

Unfreiwilliger Abendspaziergang
3-Gang-Menü der etwas anderen Art
Gleich an der nächsten Kreuzung fand sich eine Pizzeria. Doch wir mussten leider feststellen, dass wir beide nicht mehr über das nötige Geld verfügten und spätestens für die Bezahlung des Zimmers am nächsten Morgen Bargeld brauchten. Also mussten wir zuerst einen Bancomat finden. Das stellt sich in Schinznach/Bad als schwerer heraus als man meinen würde. Es gibt auf 300 Metern circa 5 Autoniederlassungen. Es gibt einen Bahnhof. Es gibt eine Tankstelle. Es gibt eine Bäckerei, wenige Restaurant und sogar eine Post. Aber es gibt keinen Geldautomaten. Ein Herr, den wir am Bahnhof danach gefragt haben, sagte uns aber schliesslich, dass es in Schinznach/Dorf auf der anderen Seite eine Bank und auch einen Geldautomaten hätte. Na dann, Fahrräder waren eingesperrt, Busse fuhren um diese Zeit nicht mehr: Wir mussten also zu Fuss gehen. Zuerst wieder quer durch’s Dorf, über die Aare, durch viele Felder bis wir eine gefühlte Ewigkeit später im andern Schinznach waren. Die Bank gab uns brav unser Geld und wir waren hungrig wie schon lange nicht mehr. Doch es war auch spät wie schon lange nicht mehr, so dass wir uns nicht mehr getrauten, in ein Restaurant zu gehen (ein weiterer Grund war auch, dass das einzige Restaurant, das noch geöffnet war, ein Guide-Michelin-Gasthof war).
Wir warfen also all unser Kleingeld zusammen und stellten uns unser Drei-Gang-Menü aus dem Selecta-Automat zusammen. NicNacs, Snackettis und ein Linzertörtchen war zwar nicht das, worauf ich mich während des Trampelns gefreut hatte, aber immerhin. Frisch gestärkt ging’s dann auf den ebenso langen Rückweg in unsere Unterkunft, wo wir durstig, aber zufrieden ins Bett fielen.

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